Zwischen Zagreb + Belgrad

Poststempel Belgrad 2.3.1955
2.3. 6h früh

Liebste Mimi!
Unsere Abfahrt i. Wien verzögerte sich bis Montag 11h vorm. Tiefster Winter über d. Semmering, aber sehr schön. Nur sah man nicht weit. Der VW zieht prächtig, u. Max ist ein ausgezeichneter Fahrer. In Graz Matsch u. unfreundliches Wetter. Der Boss hustet u. ist sehr verkühlt. Besuch bei den Puch-Werken. Abstieg im Hotel „3 Raben“. Abendessen gut + billig, dann mit Chinintabletten (Max) ins Bett. Um ½9h früh geht’s weiter zur Grenze. Schneetreiben. Grenzkontrolle -sehr freundlich, ca. ¾h. Marburg. Die Landschaft ist breughlisch schön u. einsam. Einsame Reiter auf prächtigen Pferden, eine Art Haflinger, u. einige Panjewagen mit ärmlich gekleideten Bauern u. reizenden Kindern – die sind überall besond. reizvoll – begegnen uns. Schnee + wieder Schnee. Richtung Varašdin („so lange noch die Rosen blühn“). Eine schöne Stadt. Selten treffen wir Autos u. wenn, dann S-Klarinetten. Gleich nach Marburg beginnen die Schneeverwehungen u. Wechten. Trotzdem fahren wir noch ohne Schneeketten, der Wagen zieht herrlich + Max meistert jede Situation mit Selbstverständlichkeit. Trotzdem schon wir immer schwieriger durchkommen, u. 10 km vor Varašdin ist’s soweit: „Die Schlacht bei Varašdin“ beginnt. So nennen wirs jetzt. Wir hatten gerade zur richtigen Zeit die Ketten montiert, hinter einem Haus, damit uns der schneidende Schneesturm nicht so viel anhaben kann. Die uns entgegenkommenden Schlitten schüttelten alle abwehrend die Hände. Die Straße sei verstopft u. verweht, ausgeschlossen durchzukommen. Trotzdem weiter. Hinter einem Fernlaster halten wir – Windschutz – u. davor steht ein Autobus, der nicht vor + rückwärts kann. Wir beraten. Seit 8h früh steckt der im Schnee, jetzt ist’s ½12. Der Schneepflug sei schon angefordert. Seit 8h. Es kommt nichts. Waagrecht bläst der Schnee über die Ebene. Ein sibirischer Schneesturm. Max ergreift die Initiative u. organisiert die freundl. Kroaten zu einem Schaufeleinsatz. Nur die Köpfe ragen beim Schaufeln aus dem weißen Schleier. Max schuftet trotz Verkühlung. Nach 1½h ist’s soweit. Mit vereinten Kräften kommen wir vorbei. (Der Autobus wollte nicht!) Endlich geht’s wieder weiter, aber wie! Aber Max Fahrkunst + Geduld meistert alles. Er ist durch nichts aus der Ruhe zu bringen! Schritt für Schritt geht’s vorwärts. Wir begegnen endlich dem Schneepflug, gezogen von 10 Pferden u. besetzt mit vermummten Gestalten. Der Pflug ist aus Holz u. richtet natürlich nicht viel aus. Wir erreichen mühsam Varašdin u. versuchen in Richtung Belgrad weiterzukommen u. die Autobahn Agram-Belgr. zu erreichen. Es ist schon fast dunkel als wir auf ihr landen, u. unsere Hoffnung, endlich eine gesäuberte Straße zu haben, war eine Illusion. Wie eine Dünenlandschaft sieht die Straße aus. Unvorstellbar + waagrecht pfeift der Schneesturm. Teilweise im Schritt gehts nur vorwärts – der Wagen macht Sprünge –wir halten an, um hinten das Durcheinander wieder zu ordnen. Trotzdem geht alles mit Humor. Die Scheinwerfer geben den Wellen eine größere Plastik u. wir kommen etwas friedlicher weiter + erreichen um ca. 8h abends das 1. Rasthaus ca. 300 km (!) vor Belgrad. Modern gebaut, freundliche Menschen – wie fast alle hier + hilfsbereit. Ein herrlicher Hendlbraten (8,-S!) mit Wein (1L 9,-S!!) bilden den Schluß, u. wir sinken auf die Feldbetten, im Rasthaus (10,-S pro Bett!). Zuerst in den Schlafsack, dann die Decken darüber. Es ist nicht geheizt, aber für Maxens Verkühlung ist die kalte Luft besser u. wir wachen auch gut ausgeschlafen auf. Bauers Propangaskocher ist herrlich. Heißer Tee + Keks (– Schokolade haben wir 25 kg !!) u. weiter geht die abenteuerliche Fahrt, Richtung Belgrad. Der Chef des Rasthauses sagt: Nur noch 100 km Schnee, dann nichts mehr. ? ? ? Wir sind hier. Eine abenteuerliche Fahrt. Die Straßenverhältnisse – unbeschreiblich. Aber der VW! Nur mit dem Wagen zu machen. Was der aushält. Wir haben trotzdem viel gelacht. Max ist wieder gut beisammen. Es war eine tolle Fahrt. Hier schneit es, u. saukalt ist’s. Gleich in die Botschaft, der wir schon avisiert waren – Maxens Organisation ist klaglos! – im Räuberaufzug. Herzlicher Empfang u. Hilfsbereitschaft. Hotelanweisung („Bristol“) u. abends zu einem serbischen Essen geladen. Max hat einen guten Namen. Morgen vorm. Empfang beim Botschafter. – 3.3. vorm. Das Essen war herrlich u. viel. Original serbisch. „Mučkalica u Kastroli“ musst Du verlangen, falls Du ein serbisches Restaurant irgendwo entdeckst. Es war das 1. Lokal in Belgrad mit einer prächtigen Musik u. origin. serbischen Volkssängerinnen. Die Sensation: Max richtet den Tonapparat her, u. nach einigen Verhandlungen gelingt ihm die Aufnahme. Mit Geld geht viel. Als er die Bänder gleich abspielt, ist alles hellbegeistert u. den meisten ganz geheimnisvoll. Es war ein herrlicher Abend. Müde sanken wir um ½1h ins Bett u. schliefen gut. Nun ist Max unterwegs, den Wagen zu prüfen, Benzin zu tanken u. zu erkunden, wie die Straßenverhältnisse in Südserbien sind. Wenn nicht gut, dann verladen wir alles auf den Zug u. lassen uns bis Saloniki fahren. Nichts dagegen. Den nächsten Brief wirst Du wohl kaum vor Istanbul kriegen. Man wird sehen. Wir sind guter Dinge u. wohlauf. Leider weiß ich nicht, wann Du diese Nachricht kriegst. Ich denke viel an Dich u. an Bambi + Nina u. habe Euch sehr, sehr lieb. Grüß bitte die Eltern u. Freunde.

Viele Bussln D. Helmut H D S L

Ich freu mich schon sehr auf eine Nachricht von Euch, bes. v. Dir, Liebste! Seid Ihr gesund? Ohne Norberts Patschen wärs unangenehm gewesen. Über Jugoslawien mehr mündlich. Nette Menschen. – Es wird heller – die Sonne kommt – wir fahren mit d. Auto weiter!

Herzliche Grüße von Max!