Würdigung des Künstlers

von HR Dr. Erich Egg

Es gibt eine Künstlergeneration in Tirol, die durch das Dritte Reich und den Krieg zweifach geschädigt wurde:
Einmal durch den Abbruch ihrer künstlerischen Entwicklung im Jahr 1938.
Dann durch den Militärdienst, dem sie wertvolle Jahre opfern mussten.

Diese Generation umfasst jene Künstler, die die Zeit nach 1945 neu geformt haben, die oft gegen ein beharrendes Publikum die neuen Ideen von Form und Farbe durchsetzen mussten.
Es sind interessante Namen dabei, die aus der tirolerischen Kunst und ihrem Weg zur Moderne nicht wegzudenken sind:

Max Weiler (1910 – 2001)
Fritz Berger (1916 – 2002)
Richard Kurt Fischer (1913 – 1999)
Franz Lettner (1909 – 1998)
Franz Walchegger (1913 – 1965)
Hilde Nöbl (1912 – 2001)
Maria Rehm (1915 – 2002)
Helmut Rehm (1911-1991)

Sie alle waren an der Wiener Akademie vor 1938 und kamen irgendwie mit dem großen Künstler und Lehrer Herbert Boeckl (1894 – 1966) in Berührung.

Helmut Rehm, der in Zell am Ziller geboren wurde und in Hall aufgewachsen ist, war als Meisterschüler Boeckls mehr als die anderen mit ihm in Kontakt. Seine Tiroler „Mitschüler“ Sepp Orgler (1911 -1943) und Hermann Waldhart (1916 – 1946) starben früh.
Rehm hat nicht so sehr Boeckls barockexpressive Farbkunst interessiert, sondern seine zeichnerische Leistung, „die Spannung der Linie“.
Auch seine spätere Frau Maria Hölzl liebt die Zeichnung ganz besonders. Daneben förderte Boeckl das Porträt, für das Rembrandt das große Vorbild war.
1935-1939 war Rehm in der Meisterklasse von Herbert Boeckl.

So einfach wie heute, begleitet von Förderungen, Preisen, Stipendien und Vorschusslorbeeren, war der Werdegang eines Künstlers vor 1938 nicht. Rehm hat eine zweifache Matura, an der Oberrealschule (Zeichenlehrer Hans Katholnig) und am Pädagogium, gemacht und fand trotzdem keine Arbeit.
1930-1933 leitete er in Hall die Filiale des Landesreisebüros bis zu ihrer Auflösung
und zog mit den Ersparnissen und viel Mut 1935 nach Wien. Auch dort verdiente er sich seinen Lebensunterhalt mit Plakaten, Auslagendekorationen, Exlibris, Aquarellen und als Pianist und Geiger in einer ungarischen Kapelle.

Dann holten ihn das Dritte Reich und der Krieg ein. 1940-1945 war er Soldat. Aber nicht wie andere Maler, die als Porträtisten von Generälen und Offizieren ein gutes Leben führten, sondern als einfacher Soldat und Obergefreiter. So war er auch in den Gaukunstausstellungen nicht vertreten.
Malen konnte er nur in den spärlichen Urlaubswochen und, da seine damals expressive Malweise nicht der offiziellen Kunstanschauung entsprach, malte er sich, seine Gattin und seine um zwei Töchter bereicherte Familie.
1945 kehrte er, nachdem sein Atelier in Wien zerstört war, nach Tirol zurück und schuf sich in Hall, wo sein Vater Stadtkämmerer gewesen war, eine neue Arbeitsstätte.
Kunst nach 1945 war ein hartes Brot. Wohl hatte das französische Kulturinstitut in Innsbruck mit Prof. Maurice Besser einen führenden Interpreten der modernen Kunst Frankreichs, der in bedeutenden Ausstellungen Innsbruck mit den Originalwerken von Picasso und der Ecole de Paris bekannt machte. Er stellte auch Rehms Arbeiten zum ersten Mal aus.
Von1946-1948 übernahm Rehm, über Ersuchen des Vorstandes Prof. Hans Pontiller, die Stelle als Zeichenlehrer an der Staatsgewerbeschule in Innsbruck.
Die Generation der zwischen 1905 und 1915 Geborenen war ja bisher völlig unbekannt, es gab die ältere Generation, die dem Kunstverständnis der Tiroler bisher völlig genügt hatte. Sie vertrat den Münchner Spätimpressionismus, die Nachfolge nach Egger-Lienz und die Neue Sachlichkeit.

Inzwischen hatte die Tiroler Landesregierung mit Ministerialrat Dr. Gottfried Hohenauer einen Leiter der neu errichteten Kulturabteilung bestellt und damit zum ersten Mal zum Ausdruck gebracht, dass man auch von oben her die Kunst zur Kenntnis nehmen wolle. Beim Geld zeigte sich allerdings, dass man in der Regierung immer noch unter Kultur die Agrikultur meinte.
Hohenauer war ein feiner Kenner der modernen Kunst und förderte sie mit seinen beschränkten Möglichkeiten, wo er konnte. So entstanden als öffentlicher Auftrag 1955 die Szenen des Rosenkranzes auf den Bildstöcken an der Haller Straße, die zwischen den Malern Max Weiler, Walter Honeder und Helmut Rehm aufgeteilt wurden. Rehm hatte die Passion Christi dargestellt in betont zeichnerischer, expressionistischer Art, die in Tirol damals natürlich Widerspruch hervorgerufen hat. Aber diese Kreuzwegstationen sind neben den Bahnhofsfresken und den Bildern in der Kirche auf der Hungerburg von Max Weiler die notwendigen Steine des Anstoßes gewesen, um die Kunst auf neuen Wegen weiterzuführen, die 1938-1945 abgebrochen worden waren.
Hohenauer selbst hat damals bemerkt, dass die fünf Szenen des schmerzhaften Rosenkranzes den einheitlichsten Eindruck machen. „Die figurativen Kompositionen sind sorgfältig abgewogen und mit originellen realistischen Zügen ausgestattet. Im Ganzen zeigen die Darstellungen mehr den Charakter illustrativer Graphik, sind aber von solcher Prägnanz und Eindringlichkeit, auch in der Farbe, dass sie an Bildkraft in der freien Landschaft nicht verlieren.“
Mit dem Illustrativen traf Rehm genau den Sinn, den solche Stationen des Rosenkranzes von Anfang an haben sollten: die Wallfahrer eindringlich und ohne dekoratives Beiwerk auf das Leiden des Herrn hinzuweisen.
Während die Malerei in Tirol in den fünfziger und sechziger Jahren in Richtung auf den farbbetonten Expressionismus bis zur Abstrakten fortschritt, weil dieser Weg der einzig richtige schien, blieb Helmut Rehm bei der „Spannung der Linie“, die ihm ein ganz großes Abenteuer bescherte.
1954 wurde er durch ein Porträt mit Max Eissler bekannt der 1955 eine sechsmonatige Arabienexpedition durchführte und Rehm dazu einlud. Damals waren solche Reisen noch echte Expeditionen ohne Reisebüros und voller Strapazen und Gefahren.
Rehm nahm dies alles auf sich und „zeichnete“ sich durch die Türkei, Syrien, Jordanien, den Irak, Kuwait und über Aden nach Äthiopien, den Sudan, Ägypten, Libyen bis Tunis.
250 Zeichnungen, 20 Porträts und viel farbige Landschaftsbilder waren eine reiche Ausbeute. Er malte Könige (Faisal II von Irak), Scheichs, die Männergesellschaft der Nomaden, die Arbeit der Frauen, die orientalischen Städte und die bizarren Landschaften. Die „Spannung der Linie“ lebte sich hier aus in der Sachlichkeit. In der Konzentration auf das Wesentliche ohne Verfremdung und in den exotischen Motiven die noch frei von den Anfechtungen des modernen Reiseverkehrs waren. Seine Ausstellung 1957 in Innsbruck war ein echtes Ereignis. Die nachfolgenden Reisen nach Ägypten, Äthiopien, Sudan und Saudi- Arabien haben das erste zeichnerische Erlebnis verstärkt und gefestigt.
Diese Fahrt in den Orient hat Rehm wieder zurückgeführt auf das, was Begabung und eigenes Wollen ihm vorgezeigt haben. Die Eindrücke der französischen Moderne in den ersten Nachkriegsjahren, die sich mit den Farbkompositionen Boeckls getroffen haben, traten bei Rehm jetzt zurück. Seine für die Tiroler Kunst im allgemeinen kennzeichnende Sachlichkeit kann nicht dauernd im Überschwang leben. Die Kunst Rehms kommt von der Stille, der Stimmung und nicht vom Effekt. Das Zeichnerische, sofern es sich nicht in schriftähnlichen Siegeln oder Kürzeln verliert, war nach 1970 nicht mehr modern, aber Rehm haben diese rasch aufeinanderfolgenden Wellen neuer Stile, nicht selten getragen von Dilettanten oder Selbstverwirklichern, nicht angefochten. Er war sich bewusst, dass ein älterer Künstler, der von seiner Erfahrung absteht, bald in Lächerlichkeit endet. Die hochgelobte Kreativität des Laien ist noch lange nicht künstlerisches Können. Was Rehm geschaffen hatte, war immerhin so bedeutend, dass die Kritik ihn mit Respekt behandelte, wenn er eine seiner seltenen Ausstellungen präsentierte. Vielleicht lag es auch daran, dass er seine Kunst nicht lautstark zu erklären oder verschlüsseln versuchte, sondern die Werke für sich selber sprechen ließ.
Nicht weiter zu schreiten im Chor des Farbenrausches bis zu vagen Landschaftsgebilden, sondern die Realität auf den kürzesten Nenner des Erkennbaren zu bringen, das Liniengerüst auch im Ölbild nicht zu verlieren und die Farbe nicht über die Spannung der Zeichnung zu setzen, das spricht aus den Werken Rehms. So nähert er sich eher dem Impressionismus, ohne ein Impressionist zu sein. Den Eindruck des Gesehenen geordnet in ein Bild umzusetzen und mit sparsamsten Mitteln auszustatten, spontan aber durchdacht und überlegt, das ist die Kunst Helmut Rehms. Das Gerüst der Zeichnung geht als Ordnungselement nie verloren und die Farbe behält eine pastose, nie plakative Rolle, sie ist mehr Kostbarkeit als Herrscherin. Es geht aber nicht um Augenblicksaufnahmen, sondern bei den Landschaften um eine Stimmung, die man ohne Sonnenreflex und Schattenspiel als dauernd und typisch in Erinnerung behalten mochte.

Diese persönliche Note abseits flexibler Zeiterscheinungen, diese Sicherheit im eigenen Können, tritt nicht weniger markant in seinen Porträts in Erscheinung. Rehm ist einer der bedeutendsten Porträtisten, die Tirol nach 1945 aufzuweisen hat. Auch hier sieht er die Dargestellten distanziert, aber auch nicht als seine Feinde, die er demaskieren will, sondern sachlich in ihren guten und schlechten Eigenschaften und Fassaden. Nie beschönigt, aber immer direkt auf den Beschauer gerichtet, immer nachdenklich, in der Gelegenheit, sich auch selber redlicher zu sehen, so soll ein Porträt auf den Besteller wirken.
Bevorzugt hat er Künstler wie den Maler Friedrich Hell, die Schauspieler Werner Krauss und Oskar Werner, den Komponisten Carl Orff, den Schriftsteller Julius Kiener oder den Wissenschafter und Rektor Dr. Franz Hampl gemalt. Er hatte aber auch viele ganz private Aufträge, die von Rehm Ehrlichkeit und oft auch Selbsterkenntnis erwarteten.
Wer schön sein wollte, ging nicht zu Rehm. Darum gibt es von ihm so wenig Politikerbildnisse. Die Frauenbildnisse nehmen in der Tiroler Kunst einen besonderen Platz ein, weil Rehm, der nicht nur distanziert, sondern auch sarkastisch sein kann, gegenüber der Betulichkeit der Männer die Beschwingtheit und freie Persönlichkeit der Frauen und ihre Farbenlust vorstellen kann, weil sie zum Portrait eine lockerere Einstellung haben. Repräsentative Damenportraits von Rehm gibt es nicht. Hier hat wohl auch seine Gattin, die selber eine bekannte Porträtistin ist, den ernsteren Rehm etwas beeinflusst.
Öffentliche Aufträge haben Rehm nicht im Übermaß getroffen. Immerhin gibt es von ihm Wandbilder und Mosaike in Innsbruck, Hall, Wattens, Brixlegg, Navis, Mayrhofen, Kirchdorf, Kramsach, St. Johann und Fügen, aber auch eine Reihe privater Bestellungen. Aber Rehm hat sich nie unter die Wandmaler der fünfziger und sechziger Jahre eingereiht. Anerkennung und Respekt hat er schon früh errungen. Ehrungen gegenüber war er vielleicht manchmal zu ironisch. So erreichte ihn der Professorentitel erst 1973, ebenso das Ehrenzeichen der Stadt Hall. Preise sind auch Ehrungen und hier hat Rehm doch einiges vorzuweisen, wobei vor allem in den kritischen Anfangszeiten die Konkurrenz noch bedeutend war:
1948 Ehrenpreis des Landes in der Graphikausstellung in Innsbruck
1954 und 1957 Preise beim Österreichischen Graphikwettbewerb in Innsbruck
1963 Preis der Landeshauptstadt Innsbruck

lm Ausstellungswesen trat Rehm nur sporadisch hervor, so in Innsbruck, Bozen. St. Ulrich in Gröden, Hall, Wien, in Frankreich, Deutschland, Italien, Saudi-Arabien und den USA.
Seine Reisebilder fanden Aufnahme in die arabischen Kulturzeitschriften Bustan (1964) und Fikrun Wa Fan (1969).
Beim Namen Helmut Rehm hat man eine bestimmte Vorstellung von Kunst, von Zeichnungen, die nichts Wesentliches weglassen, von Landschaften, die das Prägende und nicht den Sonnenstand anzeigen, und von Porträts, die sachlich und ohne Beschönigung vor uns stehen.

Die Unsicherheit der künstlerischen Gegenwart, das vielerlei mit und ohne Qualität, den häufigen Verlust des Qualitätsbegriffes überhaupt zugunsten der Kreativität, kennzeichnet Rehm aus der Sicht sehr lebendiger und erfolgreicher Jahrzehnte mit seiner Ironie als von den Medien beherrschten lntellektuellenstadl, als Variante zum grässlichen Musikantenstadl. In solche „Wiitschaftsgebäude“ passt Helmut Rehm, der sich selten Präsentierende, nicht.